Lieber Herr Drewer,
der scheinbar anonym bleiben wollende Physiker hat damit recht, dass man für die Erstellung einer Energiebilanz die Oberflächentemperaturen kennen muss. Sollte er mir darin zustimmen, dass die Energiebilanz an der Aussenwandfläche entscheidend ist, wäre das ein großer Erkenntnisfortschritt.Er weiß aber nicht, dass diese Temperaturen so gut wie gar nichts mit den Wärmeleitungsprozessen in der Wand zu tun haben.
Richtig hingegen ist, dass diese Temperaturen von den Randbedingungen außerhalb der Wand abhängen, also vom mehr oder weniger großen exogenen Energieeintrag und dem gleichzeitig stattfindenden Energieabtrag. Das wurde bereits vielfach durch Messungen bestätigt.
Z.B. wollte man an einer von mir durchgeführten Sanierung eines denkmalgeschützten Fabrikgebäudes in Leipzig an der Lütznerstrasse 77, das nicht nur mit der Hieronymus Lotter Medaille für die beste Sanierung des Jahres 2006 sondern auch mit dem 2. Preis im KfW-Award 2006 wegen des “interessanten energetischen Konzepts” unter Führung des Kollegen Prof. Kollhoff ausgezeichnet wurde, wissen, ob sich die dort verlegten Wandheizungen auf die Oberflächentemperatur an der Wandaussenseite auswirken würde. Die Wandheizung war auf ungedämmten 38 cm dicken Backsteinwänden verlegt worden. Zum Messzeitpunkt betrug die Innenwandoberflächentemperatur 23 °C.
Gemessen wurde an unbeschienenen Wandpartien, teils im Bereich von Wandheizungen, teils an unbeheizten Wandpartien. Das Ergebnis war eindeutig:
Es gab keinen Einfluss des Beheizungszustands. Die Wandoberflächentemperaturen waren völlig gleich. Zur Kontrolle wurden auch freistehende Gartenmauern gemessen.
Auch hier wurden die gleichen Temperaturen gemessen.
Das eindeutige Ergebnis lautet: Bei gemauerten Wänden hat der Energiezustand am Innenbereich keine signifikante Auswirkung auf die Oberflächentemperatur außen.
Dieses Ergebnis leuchtet auch sehr einfach ein, vergleicht man die im Spiele stehenden Energiemengen. Gegenüber den exogen eingetragenen Energiemengen sind die von innen ankommenden Energiebeträge marginal.
Schließlich sollte man erkennen, dass die entscheidende Systemgrenze, an der die energetischen Prozesse entschieden werden, die Außenwandoberfläche ist. Dort – und nur dort geht Energie dem Gebäude verloren oder wird gewonnen.
Der große Fehler in der EnEV besteht darin, dass die in der Wand geleitete Energie als verloren angesehen müsste. Das ist sie aber augenscheinlich nicht, weil sie nämlich noch im Gebäude drin steckt. Energieverlust und Energiegewinn finden nur an der Gebäudeoberfläche statt, keinen Millimeter dahinter oder davor.
Dass Sie dem nun – obwohl leicht begreifbar – zustimmen werden, erwarte ich nicht von Ihnen. Schließlich ist der Vertrieb von Dämmstoffen Ihre Existenzgrundlage, an der ich rüttle.
Mit besten Grüssen
Christoph Schwan
Architekt