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Channel: Kommentare zu: Dämmungslos, hemmungslos
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Von: Christoph Schwan

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Lieber Herr Drewer,
ach wäre das schön, wenn Bauphysik so einfach wäre, dass alle Probleme mit sechs Holzkisten gelöst werden könnten.

Sie verlangen nun, dass das Experiment im Freien unter Einbeziehung der solaren Einstrahlung durchgeführt werden sollte. Das wundert mich bei Ihnen aber schon.
Sie als Verfechter der Dämmtechnik sind zwangsläufig auch ein Kämpfer für die EnEV.
Diese Verordnung sieht – was ich als den Kardinalfehler ansehe – wechselnde Randbedingungen ausdrücklich nicht vor. Die EnEV kennt nur ein Modell mit stationären – also nicht wechselnden – Randbedingungen. Dass die Wirklichkeit völlig anders aussieht, die EnEV daher mit grotesk fehlerhaften Berechnungsverfahren verknüpft und daher die EnEV erfolglos geblieben ist, kümmert Sie ja nicht sonderlich.

Nun bringen Sie auf einmal die Solarstrahlung ins Spiel. Das ist ein kleiner Fortschritt.
An dieser Stelle dürfen Sie aber nicht stehenbleiben. Das gibt es noch eine grosse Zahl weiterer Randbedingungen, die ich nur auszugsweise nenne:
Diffusstrahlung, Strahlung aus der Gebäudeumgebung, unterschiedliche Temperaturen der Aussenluft, mit unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen verbunden, Eigenschaften der Gebäudeoberfläche wie vor allem der strahlungs – und absorptionsbezogene Emissionskoeffizient, Rauigkeit und Oberflächenstrukturen, Verschattungen, die astronomisch bedingt sich fortwährend verändern. Das alles wird in den EnEV – Berechnungen nicht einmal ansatzweise behandelt. Daher wird in der Fachwelt der Fehler in den EnEV – Berechnungen ja auch unwidersprochen mit +- 49% angegeben. Selbstverständlich sind Berechnungsergebnisse mit diesem Fehlerpotential vollkommen wertlos.

Das hat Prof.Dr.-Ing.Gerd Hauser schon in seiner Replik zur GEWOS – Studie eingeräumt, als er schrieb, dass es besser gewesen wäre, wenn man in seine Berechnungen die “klimatischen” Randbedingungen einbezogen hätte.

Hätte man das getan, hätte das heute geltende EnEV – Verfahren niemals Teil der Verordnung werden können. Es hätte von Anfang an ein Rechenmodell mit wechselnden – wetterabhängigen – Randbedingungen geben müssen, für dessen Bearbeitung Simulationsrechnungen auszuarbeiten gewesen wären. In einem solchen Verfahren ist aber die Primitivberechnung des U-Werts bestenfalls ein winziger Teil.

In einem richtigen Verfahren müssen die meteorologischen Randbedingungen möglichst genau -also stündlich – erfasst werden. Zu erfassen sind alle Einflüsse auf die Entwicklung der Oberflächentemperaturen durch Verechnung von Energieeintrag und Energieabtrag, die im Wesentlichen durch Strahlungsprozesse bestimmt werden. Dabei wird die Gebäudeoberfläche die alles entscheidende Systemgrenze.
Erst danach ist es möglich, eine sinnvolle Aussage zur Energieverlagerung in Hüllkonstruktionen zu machen. Aber auch dann bringt uns die U-Wert – Berechnung nicht weiter. Statt dessen muss die Temperaturleitzahl berechnet werden, bei der
sehr wohl auch die Wärmeleitfähigkeit der Baustoffe eingeschlossen ist.

Das ist auch machbar. Die grundlegenden physikalischen Gesetze liegen alle vor. Sie gehen bis ins 19.Jhdt. zurück und sind unumstritten. Die Meteorologen liefern uns hervorragende Wetterdaten. Das Werkzeug für sinnvolle bauphysikalische Berechnungen ist also vorhanden.

Eines ist aber schon heute klar: Würde sich ein derartiges Berechnungsverfahren durchsetzen, sähe es für die Dämmindustrie finster aus. Da kann nämlich nachgewiesen werden, dass ausreichend speicherungsfähige Konstruktionen mit hoher Wärmekapazität energetisch gute Konstruktionen sind, bei denen – wie die GEWOS – Studie ja schon gezeigt hat – zusätzliche Aussendämmungen in dem meisten Fällen die Energiebilanz sogar verschlechtern.

Lieber Herr Drewer,
Ihr spontaner Einfall, dass man Freilandversuche durchführen sollte, war ein Eigentor, zu dem ich Sie aber beglückwünsche. Freilandversuche sind nämlich nichts anderes als ein Experiment für die instationäre Betrachtung der energetischen Prozesse, also das glatte Gegenteil zu dem, was die EnEV uns abverlangt.

Beste Grüsse
Ihr
Christoph Schwan
Architekt AKB


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